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Afghanistan: Im Labyrinth der Stimmzettel

 
Meldung vom 04.09.2014

In Afghanistan werden immer noch Stimmzettel für Stimmzettel ausgezählt. Dabei warten alle verzweifelt auf einen neuen Präsidenten. Der Prozess hin zu demokratischeren Strukturen im Land steht auf dem Spiel.

Fast eine halbe Stunde beäugt der ältere Herr schon einige Dutzend von Stimmzetteln, die vor ihm aufgereiht liegen. Sein Blick wendet sich hin und her zwischen den Zetteln mit den Symbolen der beiden Präsidentschaftskandidaten Abdullah Abdullah und Ashraf Ghani. Er hat die Zettel auf Stapeln geordnet, die er immer wieder neu sortiert. Seine Schirmmütze ist Zeichen dafür, dass der Mann Vertreter der UN ist. Er muss eine Entscheidung darüber treffen, ob die Häkchen auf all den Zetteln auf ein und dieselbe Handschrift verweisen. Falls ja, wäre das ein sicheres Merkmal für Manipulation. In diesem Falle könnte das Ergebnis einer gesamten Wahlurne für ungültig erklärt werden.

Auch Wählerverzeichnisse, in denen wieder und wieder dieselben Ausweisnummern auftauchen, sind verdächtig; wenn der Strichcode einer Urne sich von dem der Wahlunterlagen unterscheidet oder wenn sämtliche Stimmenzettel für nur einen Kandidaten eingeworfen wurden, gar packenweise ineinander gefaltet, dann geht man ebenfalls von Betrug aus.

„Betrug ist längst Teil des Wettbewerbs“, meint Martine Van Bijlert vom Forschungsinstitut Afghanistan Analysts Network in Kabul. „Es hat Wahlfälschung auf beiden Seiten gegeben. Manche an der Spitze der Wahlkommission haben wohl Ghani unter die Arme gegriffen. Aber auf lokaler Ebene haben auch Wahlhelfer für Abdullah gearbeitet.“

Als am 12. Juli 2014 mit der Unterstützung des amerikanischen Außenministers John Kerry die Überprüfung sämtlicher Stimmzettel mit den Kontrahenten Abdullah und Ghani beschlossen wurde, dachte der Chef der Afghanischen Wahlkommission an einen Zeitraum von drei Wochen, um die rund 23.000 Wahlurnen zu kontrollieren.

Seither sind immer neue Fristen abgelaufen. Wann dem Land ein neuer Staatschef vorsteht, steht in den Sternen. Wenn Ján Kubiš, Chef der UN-Unterstützungsmission in Afghanistan (Unama), jetzt bis zum 10. September ein amtliches Endergebnis in Aussicht stellt, dann sei das „sportlich“, sagt einer, der die Nachzählung im Auftrag der UN beobachtet. Es ist die größte und teuerste Wahlüberprüfung, die die Organisation je durchlaufen hat. Dabei ist ein riesiges Vakuum entstanden und Afghanistan benötigt zweieinhalb Monate nach der Stichwahl dringend einen neuen Präsidenten. Einen, der das Land mit Autorität und Legitimation beim NATO-Gipfel in Wales in dieser Woche repräsentieren kann.

Doch noch immer werden in vier schlecht belüfteten Hallen am Stadtrand der afghanischen Hauptstadt jeden Tag in zwei Schichten Wahlurnen durchstöbert. Bis zum Wochenende sind mehr als 80 Prozent der 8,2 Millionen Stimmzettel der Untersuchung unterzogen worden. Aber rund die Hälfte der Behälter aus besonders umstrittenen Wahllokalen wartet noch auf Durchsicht – jeder Kandidat hatte 3.000 zur besonders gründlichen Kontrolle ausgesondert –, und die Überprüfung dieser Behälter zieht sich besonders in die Länge.

Die Prüfer verfolgen ihren Kurs ungeachtet dessen, dass die beiden Kandidaten in der vergangenen Woche ihre Beobachter von der Nachprüfung zurückgezogen haben. Schon vorher war es immer wieder zu Unterbrechungen gekommen. Etwa, weil die Kandidaten sich in technischen Fragen uneins waren. Aber auch, weil ihre Vertreter im Nachzählzentrum sich immer wieder in Schlägereien verwickelten. Stühle wurden geworfen und Faustkämpfe ausgetragen. Bei einem Konflikt mit einem Mitarbeiter der Wahlkommission zogen Vertreter Abdullahs gar Messer und Schlagringe aus den Taschen.

Daraufhin beorderte Abdullah seine Leute von der Beobachtung der Prüfung zurück. Die Prüfung sei ein Witz, kritisierte sein Sprecher, weil sie die Gegenseite favorisiere. Beobachter wie Jawad Kohistani, der Abdullah unterstützt, schätzt dieses Verhalten als Fehler ein: „Für ein legitimes Ergebnis und einen legitimen Präsidenten ist dieses Verfahren unbedingt nötigt.“

Die Rahmenbedingungen für die Bildung einer neuen Einheitsregierung stehen noch völlig in der Schwebe. Dem Präsidenten sollen ein Regierungschef und ein Oppositionsführer zur Seite stehen, zwei Ämter, die völlig neu definiert werden müssten, sagt Martine Van Bijlert von AAN (Afghanistan Analysts Network). „Es ist noch gar nicht sicher, welche dieser Posten es tatsächlich geben wird. Ebenso wenig steht fest, welche Befugnisse Präsident und Regierungschef künftig haben werden. Wer nimmt die Ernennungen der neuen Posten vor? Kann der Verlierer Kandidaten seiner Wahl vorschlagen oder muss er lediglich konsultiert werden? Alles noch völlig ungeklärt.“

Daneben stehe auch die Besetzung von Minister-, Gouverneurs- und Polizeichefposten zur Diskussion. Keiner weiß, wie das aufgeteilt werden soll. Je größer die Koalition, desto geringer die Gehälter für Einzelne. Es kursieren auch Gerüchte, dass Präsident Karzai Posten für seine Leute verlangt. Er hat den Amtssitz des afghanischen Staatsoberhauptes offenbar schon verlassen. „Man muss ihm einfach zugutehalten, das er offenbar wirklich freiwillig die Macht abgeben will“, unterstreicht Graeme Smith, Leiter des Kabuler Büros der International Crisis Group.






Quelle: Gebende Hände-Redaktion; nach einer Information von: „Welt Online“, welt.de

Schlagwörter: Afghanistan, Stimmzettel, Auszählung, Neuauszählung, Ergebnis, Abdullah Abdullah, Ashraf Ghani, Wahlfälschung, Wahlbetrug, Wahlkommission, Präsident, Wahlhelfer, Wahlbeobachter, Schlägerei, Wahlurne, Häkchen, Handschrift, Einheitsregierung, Ämter, Posten, Verteilung